Tag 5: Huascaran Norte (6664 m)

↑ 7 Std., ca. 750 mH; ↓ 2½ Std., ca. 750 mH bis zurück zum Hochlager 2, von dort noch einmal 2½ Std. und 1400 mH zum Refugio Huascaran

Es stürmt wieder einmal die ganze Nacht und ich mache kein Auge zu. Außerdem bekomme ich unangenehmerweise kalte Füße, denn es ist wieder sehr kalt im Zelt geworden (-6°C). Um 3 Uhr werden wir von einem der Hochträger „geweckt“. Ich frühstücke 2 Snickers, die ich zuvor kurz im Schlafsack ein wenig aufgetaut habe. Dann versuche ich, meine Heizkissen durch Anwärmen im Schlafsack auf Touren zu bringen, um sie mir für den Gipfelgang an die Fußsohlen kleben zu können. Allerdings wollen sie nicht so recht, vielleicht habe ich sie auch nicht lange genug gewärmt, jedenfalls versagen sie mir ihren Dienst. Um nicht mit bloßen Fingern im kalten Wind hantieren zu müssen, ziehe ich Gurt und Steigeisen bereits im Vorzelt an. Um 4 Uhr stehen schließlich alle Teilnehmer bis auf zwei, die Höhenkrank geworden sind, zum Aufbruch bereit. Dann geht es zuerst in den Garganta-Sattel hinauf und von dort nach links, schräg über die S-Flanke des N-Gipfels ansteigend.

Aufbruch um 4 Uhr morgens

Es geht gleich steil die S-Flanke hinauf

Ich bewundere die Orientierungsfähigkeit unseres peruanischen Führers, denn es ist stockdunkel und die Flanke bietet wenig Anhaltspunkte. Nach einer Stunde stockt das Unternehmen jedoch – vor uns tut sich ein riesiger Bergschrund auf. Zwischen den Peruanern wird heftig diskutiert und Maximo schreitet den Schrund sicherlich 50 Meter in der Breite ab. Eines ist jetzt schon klar: Leicht zu überwinden ist er an keiner Stelle. Die Aktion zieht sich ganz schön in die Länge. Mittlerweile ist es hell geworden und wir sind alle – da zur Untätigkeit verdammt – ziemlich am Frieren, denn der Wind bläst unvermindert.

Während dem Warten geht die Sonne auf

Rückblick zum Hochlager 2. Eingezeichnet ist der zweite Teil des großen Quergangs von der Candaletta aus. Gut zu erkennen sind die großen Seracs, die ein schnelles Durchqueren mancher Passagen nötig machen

Endlich scheint eine Stelle zur Überkletterung gefunden: Die Eiswand ist hier für ca. 1,50 Meter überhängend, darüber befindet sich ein Wulst und zu guter Letzt verwehrt ein kleines Dächlein den Durchgang – trotzdem ist dies noch die leichteste Stelle! Maximo dreht eine Eisschraube in den Wulst und hängt eine Schlinge daran. Dann haut er beide Eisgeräte in den Wulst, macht mit Christophs Hilfe einen Klimmzug und stellt seinen Fuß in die Schlinge. Von dort setzt er noch eine weitere Eisschraube kurz unterhalb des Daches und kann nun die Stelle überklettern. Oben angekommen befestigt er das Seil und Arthur kan als erstes mit Hilfe der Steigklemme die Stelle überwinden. Als nächstes bin ich dran: Keiner, der nicht schon einmal auf dieser Höhe unterwegs war kann sich vorstellen wie unglaublich anstrengend diese 4 Meter waren! Nachdem ich den ersten Wulst überwunden hatte, musste ich zuerst einmal inne halten um Atem zu schöpfen und brauchte sicherlich eine halbe Minute, bis ich wieder genug Luft hatte um weitermachen zu können! So kommen nach und nach die anderen Teilnehmer über den Schrund, nur Brigitte beschließt an dieser Stelle umzukehren, denn sie ist mittlerweile völlig ausgekühlt. Man kann sich vorstellen, dass auch jetzt wieder einige Zeit ins Land ging und so begannen wir – nachdem uns bei der Kletterpartie ordentlich warm geworden war – erneut zu frieren. Aus diesem Grunde beschließen wir, als außer Arthur und mir noch Martin, Christoph und Moritz die Stelle überwunden haben, schon einmal langsam weiter zu gehen. Soweit so gut, doch plötzlich stehen wir vor einer Spalte, von der aus der Weiterweg nicht ganz klar ist. Also müssen wir nun doch warten, bis uns Maximo eingeholt hat.

Warten auf die nachfolgende Seilschaft, die von Maximo, unserem Führer geleitet wird

Weiter geht es, nun schräg nach rechts, die 40-50° steile Flanke hinauf, immer wieder unterbrochen von kurzen Verschnaufpausen, die wir alle 20 Meter einlegen müssen. Endlich, nach einem besonders steilen Stück, lehnt sich der Hang zurück – und wir stehen auf dem Gipfelgrat.

Wieder und wieder müssen wir kurz innehalten um wieder genug Luft zu bekommen

Die Führerseilschaft hat sich ein wenig abgesetzt, doch der Weg ist nun klar

Hier oben pfeift der Wind jetzt aber erst recht, sodass uns Hören und Sehen vergeht. Gemeinerweise bildet der Gipfelgrat noch mehrere Aufschwünge, die einen jedes Mal zuerst Hoffnung schöpfen lassen (das muss jetzt aber wirklich der Gipfel sein!), nur um einem, endlich auf dem Aufschwung angekommen, höhnisch den nächsten Aufschwung zu präsentieren.

Unterwegs am Gipfelgrat. An den Seilen ist der starke Wind zu erkennen!

Der starke Wind und der vorherrschende Bruchharsch runden das Gesamterlebnis zusätzlich ab. Ob der Anstrengung und der großen Höhe rücken wir zuletzt nur noch im Schneckentempo vor und es wird wirklich ein harter Kampf. Doch auch der längste Weg muss ein Ende haben und so stehen wir denn um 11 Uhr, zwar ganz schön platt aber überglücklich, auf dem Gipfel. Trotzdem gestaltet sich der Aufenthalt nur sehr kurz, denn es ist einfach saukalt hier oben.

Gipfelblick I

Gipfelblick II

Gipfelblick III (im Bild der Chopicalqui, 6354 m)

Gipfelblick IV (im Bild der Südgipfel, 6768 m)

Die Gipfelmanschaft

Jetzt gilt es, sich noch einmal zusammenzureißen, denn die Kombination aus Müdigkeit und großer Höhe könnte auf dem steilen Abstieg schnell zu einem tödlichen Fehler führen. Nachdem aber auch das Abseilmanöver über den Bergschrund erfolgreich hinter uns liegt, können wir einigermaßen entspannt den restlichen Weg zum Hochlager 2 zurücklegen. Um 13.30 Uhr sind wir wieder im Lager.

Bald schon machen wir uns wieder an den Abstieg. Im rechten Bildrand ist das Hochlager 2 zu erkennen

In der zum Teil steilen Flanke ist jetzt noch einmal höchste Konzentration erforderlich

Kurze Pause, im Hintergrund der Chopicalqui

Abseilen über den gewaltigen Bergschrund

Eigentlich ist es für die Durchquerung der eisschlaggefährlichen „Candaletta“ jetzt schon viel zu spät, doch keiner hat Lust, noch eine Nacht in dem zugigen Loch zu verbringen. Deshalb ruhen wir uns gar nicht groß aus, sondern bauen die Zelte ab und packen unsere Sachen. Dann geht’s geschwind in Richtung „Candaletta“. Besonders zu schaffen macht uns jedoch erst einmal eine kurze Gegensteigung – die Beine sind jetzt einfach schon sehr schwer und eigentlich nur noch zu einer Abwärtsbewegung bereit. Aber auch der weitere Abstiegsweg hat seine Tücken, mehrere steile Blankeisstücke müssen ganz vorsichtig rückwärts abgeklettert werden. Ganz am Ende der „Candaletta“ wartet dann auch noch eine letzte Prüfung in Form einer etwa 1,5 – 2 Meter breiten Gletscherspalte, die nur mit einem kühnen Sprung überwunden werden kann. Im Hochlager 1 angekommen binden wir uns aus und nehmen das Seil auf den Rücken; der Gletscher ist, wie wir vom Aufstieg her wissen, spaltenfrei. So trotten wir alle, jeder den eigenen Gedanken nachhängend, bis zum Moränenlager am Ende des Gletschers. Hier ist noch ein letztes Mal volle Aufmerksamkeit gefordert, denn es gilt über die glatten Granitplatten bis zum Refugio Huascaran abzusteigen. Dort werden wir bereits von Dirk und den anderen beiden, die bedingt durch die Höhenkrankheit absteigen mussten, mit einem kühlen Bier erwartet. Gemeinsam setzen wir uns auf die Terrasse und beobachten den Rest der Gruppe, der nach und nach eintrudelt. Ich genieße das Abendessen in der Hütte und die Übernachtung in den einfachen Betten kommt mir vor wie ein Luxushotel!

Bei einem wohlverdienten Bier auf der Terrasse des Rif. Huascaran

→ Weiter mit Tag 6: Refugio Huascaran – Musho – Transfer ins Hotel