Aiguille Verte – Jardingrat

Erstbegehung: Jean Ravanel, Léon Tournier und E. Fontaine; 1904

Ausgangspunkt: Refuge du Couvercle (2687m). Von Montenvers der Beschilderung „Refuges de haute montagne“ auf das Mer de Glace folgen. Zuerst an dessen rechten Rand, dann in der Mitte und an der Vereinigung mit dem Leschaux-Gletscher am linken Rand aufsteigen (dort befinden sich Markierungen). Über Leitern hinauf und dem Steig bis zur Hütte folgen (900mH/ 3-4 Std.).

Zustieg: Über einen Steig zum Glacier de Talèfre. Dann über den Gletscher in einem weiten Rechtsbogen unter den Felswänden von Aiguille du Moine und Aiguille Verte entlang bis unterhalb des Col de l’Aiguille Verte (ca. 1½-2 Std.).

Einstieg: Über den oft schwierigen Bergschrund in das Couloir, das links von der markanten Gabel im Col herunterkommt (3580m).

Länge: 1435mH/ 8-11 Std.

Schwierigkeit: D, IV, 55°

Abstieg:Je nach Verhältnissen durch das Whympercouloir (AD+) oder über den Moinegrat (AD, 6-9 Std.).

Weitere Routen: SW-Grat (Moinegrat); AD, III
S-Wand (Whympercouloir); AD+, 55°
NW-Grat (Grands Montets Grat); D, IV, 50°
NW-Wand (Nant-Blanc-Flanke); D+, IV, 55°
NO-Wand (Couturiercouloir); D-, 55°
W-Grat (Sans-Nom-Grat); D+, IV+

Tipp/ Planung: Wecken um 0 Uhr, der Zustieg über den Gletscher dürfte normalerweise gespurt und damit leicht zu finden sein, auch das Einstiegscouloir ist nicht zu verfehlen, daher früher Aufbruch möglich. Die Tour ist sehr lang, also sollte auf ein rasches Vorankommen geachtet werden. Wenn es die Verhältnisse zulassen, ist der schnellste Abstieg der Weg durch das Whympercouloir (teilweise Abseilstellen), der Moinegrat dauert wesentlich länger und ist von der Wegfindung her nicht ganz einfach.

Aiguille Verte

Routenübersicht

Ich hatte mir für diesen Sommer etwas „großes“ vorgenommen. Bis dato hatte ich nur Touren mit Gesamtschwierigkeiten bis AD- gemacht und vorgehabt, nun schwerere Touren anzugehen. Geplant waren eigentlich eine Überschreitung der Grandes Jorasses mit Rochefortgrat und/oder der Teufelsgrat des Mont Blanc du Tacul. Für diese Touren ist jedoch ein sehr stabiles Wetterfenster notwendig. Wir waren zwei Wochen zuvor nach Saas-Fee gereist, um uns dort beim Wandern die nötige Akklimatisation zu holen und hatten dort auch meistens gutes Wetter gehabt. Dann ging es mit dem Auto nach Chamonix, wo ich mich mit Alex, meinem Bergführer am Maison de Montagne verabredet hatte. Es zeichnete sich jedoch schon jetzt ab, dass nur dieser und der nächste Tag schön werden würden, während am darauffolgenden Tag Gewitter gemeldet waren. Von Grandes Jorasses und Tacul konnte also keine Rede sein. Alex schlug mir mehrere Alternativen vor und ich entschied mich für die Aiguille Verte, die wir allerdings nicht über den Normalweg, sondern zusammen mit Aiguille du Jardin und Grande Rocheuse über den Jardingrat besteigen wollten. So fuhren wir noch zur selben Stunde mit der Zahnradbahn nach Montenvers und machten uns auf den Weg zum Refuge du Couvercle. Der Weg führt zunächst über einen Steig und über wenig sensibel auf dem Fels montierte Leitern hinunter auf´s Mer de Glace.

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Über Leitern geht es die letzten 100 Meter hinab auf das Mer de Glace

Nun ging es immer leicht ansteigend den Gletscher hinauf, wobei sich die mächtige Nordwand der Grandes Jorasses immer eindrücklicher in unser Blickfeld schob. Wir verliessen den Gletscher linkerhand, kurz nach der Vereinigung von Tacul- und Leschauxgletscher. Ein „Klettersteig“ führte über die Platten am Gletscherrand und manche waren offenbar schon mit diesem Hüttenzustieg überfordert… Weiter oben ging es dann weitaus leichter über einen Pfad hinauf zum wunderschön (es ist mit Sicherheit eine der am schönsten gelegenen Hütten der Alpen) gelegenen Refuge du Couvercle. Von hier aus genoss man eine prachtvolle Aussicht auf Grandes Jorasses, Rochefortgrat und Mont Blanc.

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Der Walkerpfeiler kommt näher…

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Ankunft am Refuge du Couvercle, eine der schönsten Hütten der Alpen

Wir gönnten uns eine kleine Pause und bezogen unser Zimmer. Kurze Zeit später gab es auch schon das Abendessen. In Anbetracht der Tatsache, dass unser Wecker auf Mitternacht gestellt war, lagen wir dann um acht Uhr in den Betten und versuchten, zumindest ein bisschen zu ruhen.
Taufrisch stiegen wir also mitten in der Nacht aus den Betten, nahmen ein kurzes Frühstück ein und standen gegen 0.45 Uhr abmarschbereit vor der Hütte. Über uns waren die Lichter zweier italienischer Seilschaften zu sehen, die etwas vor uns gestartet waren. Dies erwies sich auf dem Gletscher als sehr nützlich, da wir ihren Spuren folgen konnten. So stiegen wir circa 1 1/2 Stunden auf dem Gletscher auf, teilweise durch wüste Spaltenzonen und standen schließlich unterhalb des Whymper Couloirs. Wir querten nun immer weiter entlang der Felswand, bis an ein weiteres Couloir in Fallinie einer markanten Felsgabel zwischen Droites und Aiguille du Jardin kamen. Hier schlossen wir zu den Italienern auf, die damit beschäftigt waren, den steilen Felsschrund zu überwinden. Dazu musste man zunächst einige Meter in fast senkrechtem Eis nach links queren, bis man schließlich an einer geeigneten Stelle die Kante überklettern konnte. Im Couloir selbst waren die Verhältnisse gut und wir kamen zügig voran. Wir verliessen das Couloir in etwa 2/3 Höhe und traversierten nach links in ein weitläufiges Felscouloir. Auch hier ging es zunächst in leichter Kletterei (I und II) gut voran bis wir eine Stelle erreichten, von der aus der weitere Verlauf der Route unklar war. Die Italiener entschieden sich für eine Variante in nahezu senkrechter Kletterei, die sie viel Zeit kostete, da immer zuerst einer Vorsteigen und dann die anderen nachsichern musste. Alex und ich beschlossen zu warten, bis es heller sein würde, da es auch noch eine andere Variante weiter rechts gab, die in der Dunkelheit jedoch schwer einsehbar war. Und tatsächlich erwies sich diese Variante als richtig, sodass wir die Italiener bald überholt hatten. Nach oben hin verjüngte sich das Couloir nun zusehens und steilte auf, bis es schließlich in einem plattigen und leider auch etwas brüchigen Kamin endete, den wir in zwei Seillängen unangenehmer IVer Kletterei überwanden. Nun standen wir zum ersten Mal auf dem eigentlichen Grat, gerade als die Sonne aufging – was für eine Wohltat, die warmen Sonnenstrahlen nach der ganzen Zeit im Dunklen zu spüren!

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Rückblick zu dem abschliessenden, brüchigen Kamin

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Die Italiener am Ende des Kamins. Hier trafen uns die ersten Sonnenstrahlen – herrlich!

Direkt darauf folgte allerdings gleich eine weitere Schlüsselstelle, in Form eines schmalen Felsspalts, durch den man sich, den Rucksack auf dem Kopf vor sich herschiebend, hindurchwinden musste, was in einer Höhe von über 4000 Metern eine beachtliche Aufgabe ist. Danach traversierten wir, immer etwas unterhalb des Grates an der Felswand entlang, bis wir dann zuletzt auf dem Grat selbst den Gipfel der Aiguille du Jardin betraten. Die Gefühle waren hier zwiegespalten: Einerseits natürlich die Gipfelfreude, andererseits war es noch ein weiter Weg bis zur Aiguille Verte – und noch ein viel weiterer bis nach unten…

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Auf dem (kleinen) Gipfel der Aiguille du Jardin

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Rückblick zum Jardingrat. Im Hintergrund die Nordwand der Droites

Nach einer kurzen Pause seilten wir ab in die Scharte zwischen Aiguille du Jardin und Grande Rocheuse und durchquerten sie auf einem schmalen Grat, teiweise auf Eis, teilweise auf Fels. In leichter Kletterei erreichten wir nach ca. einer Stunde den Gipfel der Grande Rocheuse, wo wir ebenfalls eine kurze Rast einlegten. Nun lag die Aiguille Verte direkt vor uns, nur knappe 20 Meter höher, aber nur zu erreichen, indem man wieder ein gutes Stück abseilte… Laut Führer gab es in der Scharte zwischen Grande Rocheuse und Aiguille Verte eine heikle Querung. Man musste (in respektvollem Abstand zu den Wächten) auf einem Schneefeld am Ausstieg des Whymper Couloirs – allerdings auf der Argentiere Seite – entlang traversieren, um zum letzten Gipfelaufschwung zu gelangen. Die letzten Meter zum Gipfel waren noch einmal sehr mühsam, aber das Gefühl, den Gipfel zu betreten lies mich die Mühe nur zu gern vergessen. Es bot sich ein prächtiger Ausblick auf das gesamte Mont Blanc Gebiet, sogar das Matterhorn war zu erkennen.

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Rückblick zum Jardingrat vom Gipfel der Aiguille Verte. Im Vordergrund die Grande Rocheuse, nach rechts fällt steil das Whymper Couloir ab

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Toller Blick auf den mächtigen Nachbarn Mont Blanc

Als Abstiegsroute wählten wir den Moinegrat, da sich das Whymper Couloir durch die hohen Temperaturen schon um diese Uhrzeit (wir hatten den Gipfel gegen 9 Uhr erreicht) aufgeheizt hatte. Also mühsames Absteigen statt gemütlichem Abseilen… Und mühsam sollte der Abstieg in der Tat werden, denn der Moinegrat war noch mit ordentlich Schnee bedeckt, der in der Sonne extrem sulzig geworden war und mir sehr zu schaffen machte. Aus diesem Grund kamen wir nur sehr langsam voran, was mir der Blick auf den Talèfre Gletscher zeigte, der irgendwie einfach nicht näher rücken wollte. Gerade im oberen Teil war der Grat sehr schmal und bot zu beiden Seiten erregende Tiefblicke. Weiter unten hatten wir sogar noch einen kleinen Verhauer, sodass wir nach einem kurzen abseilen plötzlich mitten in unwegsamem Gelände standen. Also – wieder aufsteigen… Glücklicherweise fanden wir aber dann beim zweiten Versuch den Beginn einer eingerichteten Abseilpiste, wodurch wir endlich einmal zügig an Höhe verloren. Am Ende der Abseilpiste waren wir fast auf Höhe des Cardinals, der die Stelle markiert, an der man den Grat in östlicher Richtung verlässt und in direkter Linie zum Gletscher absteigt. Diesen letzte Teil des Weges bildete eine Schotterrinne, die weiter unten breiter wurde und schließlich an mehreren Stellen auslief, wodurch es nicht ganz leicht war zu erkennen, an welcher Stelle denn nun der Gletscherschrund im allgemeinen überquert wurde. Als wir die Stelle erreichten, sahen wir, dass es hier zwei Abseilstellen gab – eine niedrigere und eine höhere – wobei die niedrigere wenig vertrauenserweckend aussah, unser Seil jedoch zu kurz war, um von oben abzuseilen. Glücklicherweise erreichten kurz nach uns noch zwei französische Bergsteiger, die ein Doppelseil besassen, diese Stelle. Wir durften ihr Seil mitbenutzen und standen nun endlich wieder auf dem Gletscher. Das letzte Hinderniss bildete eine 2 Meter breite Gletscherspalte, an der der Weg aufhörte. Die Person, deren Spuren wir nachgelaufen war schien an dieser Stelle umgedreht und auf ihrer eigenen Spur zurückgelaufen zu sein.

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Sprung über die Gletscherspalte

Nach einem vorsichtigen Inspizieren der Spalte sprangen zunächst die Franzosen und danach wir hinüber, da keiner von uns Lust hatte, noch einen größeren Umweg in Kauf zu nehmen. Schließlich erreichten wir die Couvercle Hütte – nach knappen 19 Stunden – und kamen gerade richtig zum Abendbrot.

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