Barre des Ecrins – S-Pfeiler

Während sich die Barre des Ecrins von Norden aus als markanter, weitgehend schneebedeckter Berg zeigt, präsentiert sich die Südseite als haltlose, 1300 m hohe Felsflucht. Es ist schon ein eindrücklicher Anblick, der sich dem Bergsteiger bietet, wenn er in das Tal des Glacier Noir einbiegt – links die abweisenden Nordwände von Pelvoux und Pic Sans Nom und vor ihm die schroffe Südflanke der Barre des Ecrins. Die Kletterei selbst ist was die reine Schwierigkeit betrifft durchaus machbar, der V. Grad konzentriert sich nur auf 2-3 Einzelstellen, allerdings ist die Wegfindung nicht einfach und die Felsqualität vielfacht schlicht und ergreifend mies. Nichtsdestotrotz stellt der S-Pfeiler eine große klassische Tour in einfach umwerfendem Ambiente dar.

Erstbegehung: Jeanne und Jean Franco; 15.08.1944

Ausgangspunkt: Pré de Mme Carle mit dem dort gelegenen Refuge Cézanne (1874 m, großer Parkplatz). Ca. ¾ Std. von Briançon (34 km). Start der Tour entweder von dort als Eintagesvariante oder mit Biwak als Zweitagesvariante. Biwakplätze befinden sich am Ende der Moräne im Zustieg (rechts) und (mehrere Plätze an unterschiedlichen Stellen) im ersten Teil des Pfeilers unterhalb vom Col des Avalanches

Einstieg: Am obersten Ende des Glacier Noir (P. 2837)

Länge: ↑ 2227 mH, 13 Std. ↓ 2227 mH, 3 Std.

Schwierigkeit: TD, V+

Abstieg: N-Flanke und W-Grat. Der Dôme de Neige des Ecrins (4015 m), der immerhin nach UIAA auch einen eigenständigen (wenn auch wenig selbstständigen) 4000er darstellt kann mit ca. ¼ Std. Mehraufwand „mitgenommen“ werden.

Weitere Routen: N-Flanke und W-Grat (Normalweg); PD+, II, 40°O-Grat; AD, III, 50°

S-Wand; AD, III, 55°

Absicherung: Insgesamt stecken nur sehr wenige Haken, auch an den schwierigen Stellen. Eine Ausnahme bildet die Schlüsselseillänge am Ende der Bastion, die eigentlich ausreichend mit Haken bestückt ist. Ansonsten vereinzelt Haken in den SL der Bastion und an den Ständen dort. Im unteren Teil fanden sich einzelne Haken beim Übergang Gletscher – Fels, im oberen Teil nach der Bastion steckt gar nichts mehr. Wir hatten zur Absicherung ein Set Friends und eine Auswahl Schlingen dabei.

Tipp/ Planung: Da man sich hier am südlichsten 4000er der Alpen befindet und es sich um eine S-Wand handelt, wird wohl jedem klar sein, dass hier den ganzen Tag die Sonne scheint und es ganz schön warm werden kann. Dies ist im Hinblick auf die Bedingungen in der Wand, die nach Schneefällen wahrscheinlich schnell wieder gut sind zwar positiv, es bedeutet aber auch, dass man insbesondere in Anbetracht der Länge der Tour, genug zu trinken dabei haben sollte. Ich hatte 2l mitgenommen, die dann am Gipfel aber auch so gut wie aufgebraucht waren. „Auftanken“ kann man entweder beim Refuge des Ecrins (3175 m; 50 mH Gegenanstieg) oder beim Refuge du Glacier Blanc (2542 m). Nach den ersten 3-4 SL an der Bastion kann man durch gleichzeitiges steigen am laufenden Seil eine ganze Menge Zeit sparen. Kletterschuhe oder nicht? Die beiden anderen Seilschaften hatten Kletterschuhe getragen, wir sind in Bergschuhen geklettert, was eigentlich auch gut möglich war. Ein Einfachseil reicht vollkommen aus, mehr als 20 m muss in keinem Fall abgeseilt werden. Hier unsere Zeiten zur Planung:

Pré de Mme Carle – Einstieg: 2 Std.

Einstieg – Gipfel: 7 ¾ Std.

Gipfel – Brèche Lory: ¾ Std.

Brèche Lory – Dôme de Neige des Ecrins: 5 min

Dôme de Neige des Ecrins – Refuge des Ecrins: 1 Std.

Refuge des Ecrins – Refuge du Glacier Blanc: ¾ Std.

Refuge du Glacier Blanc – Pré de Mme Carle: 1 Std.

344Der Zustieg zum Pfeiler verläuft über die Moräne rechts des Glacier Noir. Dort, wo sie im Bild scheinbar im Schnee endet befinden sich rechterhand die Biwakplätz und von dort sind wir schräg nach links hinab auf den Gletscher gequert

Barre des Ecrins S-PfeilerÜberblick über den S-Pfeiler (ein sehr gutes Topo gibt es hier)

„Wecken“ um 23.40 Uhr – ich koche mir zwei Tassen starken Kaffee und setze mich dann ins Auto, um von unserer Ferienwohnung in La Grave nach Vallouise zu fahren, wo ich um 1.30 Uhr mit Robin, meinem Bergführer verabredet bin. Dort angekommen steige ich zu ihm ins Auto und wir düsen im nächtlichen Dunkel nach Pré de Mme Carle. Um 1.50 Uhr starten wir. Zunächst über einen breiten Wanderweg bis zum Abzweig zum Glacier Noir (ca. 20 min). Dann relativ direkt, immer mehr oder weniger gleichmäßig ansteigend hinauf auf einen Moränenkamm. Heute Nacht ist Vollmond und so bietet sich uns ein einmaliges, schaurig-schönes Bild der vom Mond beschienenen Felswände – einfach nur grandios in diesem Moment hier unterwegs zu sein! An einem großen Steinmann am Ende der Moräne verlassen wir diese nach links und queren in haltlosestem Schottergelände die Moränenflanke schräg hinab auf den Gletscher. Laut Robin kann man hier anstatt nach links die Flanke hinabzusteigen auch geradeaus auf den Gletscher hinunterkommen, was aber anscheinend auch nicht viel leichter ist… Oben sind schon die Lichter einer Seilschaft zu erkennen, die gerade dabei ist einen Übergang vom Gletscher zum Fels zu finden – gut für uns, dann können wir uns die Suche sparen. Der Gletscher wird nun immer steiler, sodass wir die Steigeisen anlegen müssen. Praktisch an der höchsten Stelle des Gletschers wagen wir den Übergang: Wir erklettern einen überhängenden Eiswulst in einer Art Kamin aus Fels und Eis und können dann unschwierig nach rechts in die Felsen hinüberqueren. Der Fels ist nun komplett eisfrei, sodass wir die Steigeisen wieder ausziehen können. Allerdings ist es hier sehr steil, sodass Robin jeweils zwei SL vorsteigt und mich nachsichert.

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Kurz nach dem Übergang Gletscher – Fels

317Der untere Teil besteht aus Schotter, Schrofen und Felsabsätzen. Bis zum Gipfel ist es noch weit…

Der Weiterweg orientiert sich größtenteils an einer Abfolge von Rinnen, Kaminen und Verschneidungen, erst schräg nach rechts, dann wieder schräg nach links. Eine detaillierte Aufstiegsbeschreibung zu geben ist hier praktisch unmöglich, daher ist ein gutes Gespür für die Route, insbesondere bei Dunkelheit, wichtig. Anhand der Angaben im Eberlein Führer hätte ich mich hier jedenfalls nicht zurechtfinden können. Tendenziell sollte man jedoch aufpassen, dass man nicht zu weit nach rechts kommt. Dies ist uns nämlich passiert und so mussten wir – mitten in der Wand – einen Schmelzbach überqueren und in unangenehmem Schottergelände nach links zurückgehen. An einem Biwakplatz machen wir eine Trinkpause – so langsam beginnt der Tag zu grauen.

318Rast auf einem geräumigen Biwakplatz. Endlich wird es hell!

Mittlerweile haben wir die andere Seilschaft eingeholt und ziehen vorbei. Weiter geht es, einer Folge von Kaminen folgend nach rechts. Wir passieren den roten und den grauen Turm und erreichen schließlich über ein kurzes Gratstück die Bastion.

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Als die Sonne scheint liegt der Gletscher bereits ein ganzes Stück unter uns

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Kletterei am laufenden Seil im Bereich des roten Turms

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Aus der Wand geniesst man einen tollen Blick auf die Nordwände von Pelvoux (links) und Pic Sans Nom (rechts)

323Wir nähern uns der Bastion (schattiger linker Wandabschnitt im oberen Teil)

In der 1. SL soll man laut Eberlein Führer einem Kamin 15 m folgen und dann 20 m waagerecht in sehr mäßigem Fels zum Stand queren. Wir tun dies nicht, sondern folgen dem Kamin (IV) nur etwa 5 m, queren dann ca. 10 m nach rechts (V) und dann noch einmal 10 m gerade hinauf zum Stand (IV). Diese Variante erscheint mir wesentlich besser zu sein, als die im Führer genannte.

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Tiefblick vom 1. Stand in der Bastion

324Blick auf die 2. SL (IV)

326Robin unterwegs in der 3. SL (IV)

Nun gerade zum nächsten Stand (IV). Über eine Rinne nach links zum dritten Stand (IV). Dann wieder nach rechts zum 4. Stand (IV). Nun wechseln wir von der Standplatzsicherung in den Modus „am laufenden Seil“ und lassen so die beiden hinter uns kletternden Seilschaften zurück. Auf diese Weise überwinden wir 2-3 SL, dann erreichen wir die als „Verron“ (Riegel) bezeichnete Schlusswand, wo es noch einmal schwierig wird. Von einer Plattform queren wir um eine Ecke nach rechts (V-) bis unter einen kleinen Bauch. Nun folgt die Schlüsselstelle: 3 m gerade hinauf, dann 3 m Querung nach rechts (V+; griffarm, schwierig, aber auch A0 machbar) und gerade in zerklüftetem, aber festem Fels über den Überhang (V). Nun nicht weiter gerade hinauf (dort hängt eine Verhauerschlinge), sondern ein paar Meter waagerecht nach links in einfacheres Gelände queren (IV+). Weiter schräg links ansteigen, bis man über eine Platte den Stand an der Gratkante erreicht (IV).

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Ausstieg aus der Schlüsselseillänge

327Der Stand befindet sich direkt unterhalb der Gratkante

Von nun an steigen wir wieder gleichzeitig über ein System von Rinnen und Rippen, verschiedene Wege scheinen möglich. Mit den nunmehr knapp 2000 Hm in den Beinen und der dünnen Luft wird der weitere Aufstieg jetzt sehr zäh. Vor allem jedoch ist die Felsqualität auf diesem letzten Abschnitt sehr schlecht, alles scheint beweglich zu sein und man muss wirklich höllisch aufpassen. Es ist allerdings möglich, diesen letzten Gratabschnitt linkerhand über ein Schneefeld zu umgehen, wobei man wohl dem Ausstieg der klassischen S-Wand Route folgt und was die beiden uns nachfolgenden Seilschaften auch getan haben. Schön bei ersterer Variante ist allerdings, dass man wirklich genau auf dem Gipfel (4101 m) aussteigt. Es ist 11.45 Uhr, das Wetter ist blendend und wir sind ganz alleine hier oben – wieder einer dieser seltenen Momente! Praktisch keine Wolke am Himmel und was für eine Aussicht! Ich packe Brot, Wurst und Käse aus und nehme eine schon länger überfällige Mahlzeit ein. Mit dem Trinken sieht es eher mau aus, also füllen wir unsere Flaschen mit Schnee.

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Blick vom Gipfel hinüber zum Mont Blanc…

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…Pelvoux und Pic Sans Nom…

331…sowie zur Walliser Kette (in der Mitte das Matterhorn)

Nach einer halben Stunde brechen wir wieder auf, denn der Abstieg ist noch lang. Am Grat entlang geht es stets gutgriffig und in gut ausgeputztem Fels hinab. Lediglich kurz vor dem Erreichen der Brèche Lory (3974 m) muss man vom Grat ein wenig hinab in die Flanke queren (nicht einfach zu finden, hier genau auf die Steigeisenkratzer achten). Wir queren die Flanke dann waagerecht nach links um eine Ecke herum bis direkt über die Scharte. Hier befindet sich eine gut eingerichtete Abseilstelle von ca. 10 m. Da ich gerne auch den Dôme de Neige des Ecrins (4015 m) besteigen möchte, lassen wir die Rucksäcke hier zurück und bringen auch noch diesen letzten Aufstieg von 5 min hinter uns.

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Im Abstieg auf dem W-Grat

336Blick vom Dôme des Neige hinüber zur Barre des Ecrins

Schnell ein Foto geschossen, dann geht es wieder hinab. Im Sauseschritt, zum Teil auch rutschend geht es ohne Steigeisen den Glacier Blanc herunter. So bringen wir den steilen Teil recht schnell hinter uns, dann wird der Gletscher allerdings fast eben, was den weiteren Abstieg wieder ganz schön zäh werden lässt. Auch der Wassermangel macht sich nun immer stärker bemerkbar, denn es wird mit jedem Meter den wir absteigen heißer. Wir lassen das Refuge des Ecrins (3175 m) links liegen, da das Durstgefühl zwar schlimm ist, von der Aussicht, einen Gegenanstieg von 50 mH leisten zu müssen, jedoch noch übertroffen wird.

Barre des Ecrins AbstiegÜberblick über den Abstieg

338Abstieg über den nunmehr fast ebenen Glacier Blanc

340Das Refuge des Ecrins (3175 m) wäre nur durch einen Gegenanstieg zu erreichen…

Es geht noch ein gutes Stück weiter über den Gletscher, dann beginnt links ein Wanderweg. Robin kennt jedoch eine Abkürzung: Wir gehen geradeaus in einer schneegefüllten Rinne weiter und rutschen wieder einiges an Höhenmetern ab. Schließlich queren wir über Platten hinüber zum Weg und erreichen nach kurzer Zeit das Refuge du Glacier Blanc (2542 m). Hier gibt es kostenlos Wasser und so stürze ich erst einmal 1l Wasser hinunter. Dann gönnen wir uns noch eine Cola, wodurch die Lebensgeister so langsam wieder in Schwung kommen.

341Blick zurück zum Glacier Blanc und dem Refuge du Glacier Blanc (schwer zu sehen; es befindet sich in den grünlichen Felsen rechts neben der Gletscherzunge)

Nach einer ¾ Stunde Pause laufen wir weiter, was einigermaßen unangenehm ist, denn die Muskulatur ist nun kalt und müde. Es ist mittlerweile 15.30 Uhr und die Sonne brennt unbarmherzig hinab. Um 16.30 Uhr sind wir endlich wieder zurück in Pré de Mme Carle und sind von Herzen froh über die technische Errungenschaft einer Klimaanlage, bei geschätzten 60°C im Auto…

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