Civetta NW-Wand „Solleder“

Da drängt südwärts durch Nebelbreschen ein stolzer Berg. Ist’s Wirklichkeit? – Noch nie hatte ich in den Alpen eine Wand geschaut wie diese! (…) Wahrlich wert der Zeit und Kraft, die schon die Besten im Werben um diese jungfräuliche Schönheit eingesetzt haben.

Emil Solleder

Die Solleder ist wahrlich eine der großen Unternehmungen in den Alpen! Doch wer hier Genusskletterei erwartet, wird bitter enttäuscht sein. Denn nicht der Fels sondern die bestechende Linie, die vom tiefsten Punkt geradewegs bis fast direkt auf den Gipfel dieser gewaltigen Wand zieht und das großartige Ambiente lassen diese Bergfahrt als einen der ganz großen Klassiker erscheinen. Die Kletterei selbst ist sehr lang (1200 m Kletterstrecke) und für eine so bekannte Tour doch recht spärlich mit zum Teil alten Haken gesichert. Und wer sich dann schließlich nach einem langen Tag über die Gratkante schwingt wird sich eine gewissen Respekt vor den Erstbegehern, die diese Wand in nur 15 Stunden und mit gerade einmal 12 Haken begingen – wie so oft – nicht verkneifen können.

277 Route

Übersicht über die gesamte Route

279 - unterer Teil

Der untere Teil

278 - oberer Teil

Der obere Teil

Um den Tag voll nutzen zu können klingelte an diesem Morgen der Wecker bereits um 3.30 Uhr. Damit waren wir die ersten, bald jedoch standen auch die meisten anderen Seilschaften auf. Um 4.15 Uhr begannen wir unseren Weg zum Wandfuß wobei wir das erste Stück noch von dem Hüttenkätzchen begleitet wurden. Da wir am Vortag bereits das Schneefeld, dass den Übergang zum Wandvorbau vermittelte mit Stufen präpariert und unser Material dort deponiert hatten, fanden wir schnell den Einstieg. Den unteren Teil des Vorbaus kann man seilfrei aufsteigen, als es jedoch immer steiler wurde begannen wir auch zu sichern. Nach 3 SL erreichen wir eine Scharte hinter einem schwarzen Turm, der sich am Beginn des großen Verschneidungssystems im unteren Teil befindet, von links her kommend. Gleichzeitig kommt von der anderen Seite eine andere Seilschaft hinauf – hier scheint es also noch etwas leichter zu sein, denn die beiden seilen erst jetzt an. Ab jetzt wird es ernst, die berühmte erste schwierige Seillänge (VI-) steht an: Eine riesige Schuppe unter einer ansonsten vollkommen glatten Wand, an sich schön zu klettern wenn auch die Gesteinsqualität eher fraglich ist.

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Im berühmten Einstiegsriss der „Solleder“

Danach kommt eine etwas leichtere (V) Kaminlänge, bevor dieser sich weitet und man nach einer leichten SL (III+) unter dem schwierigen Blockkamin, eine der Schlüsselstellen der Tour, steht. Der Standplatz befindet sich direkt im Kamin, dann geht es an der linken Wand in schlechtem Fels (schwer absicherbar, VI+) einige Meter hinauf, bevor man den Kamin zunächst nach links hinaus in die überhängende Wand verlässt und schließlich wieder oberhalb des Kamindaches in selbigen zurückkehrt.

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Der Blockkamin. Unterhalb des schwarzen Daches mit dem schmalen Einschnitt geht es nach links in die überhängende Wand, oberhalb davon wieder nach rechts zurück.

Weiter geht es im Kamin bis sich dieser endgültig öffnet und man nach etwas leichterem Gelände unterhalb einer steilen, glatten Wandstufe steht, die den Übergang zum vom Verschneidungssystem zum geneigten Mittelteil der Wand abriegelt. Zwei Varianten sind hier denkbar: Ein Linksbogen in gutgriffigem, aber zu dem Zeitpunkt da wir diese Stelle erreichten (wahrscheinlich sogar ständig) vollkommen wasserüberronnenen Fels, oder geradeaus bis leicht rechts in anspruchsvollem, kleingriffigem (aber trockenem) Fels. Wir entschieden uns – wie auch die Seilschaft vor uns – für letztere und packten die Länge (VI+) an. Zunächst ging es vom Stand gerade ca. 5 m hinauf, dann ca. 3-4 m waagerecht nach rechts (H) und endlich einem Riss folgend wieder gerade hinauf auf ein Band. Nun folgt eine der großartigsten Stellen der Tour: Ein 50 m langer Rechtsquergang (III-IV) unter den leichteren Plattenteil, der sich links des zentralen Schneefelds („Cristallo“) befindet.

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Die anspruchsvolle Seillänge vor dem Quergang (VI+)

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Ein schöner und langer Rechtsquergang leitet hinüber zum leichteren Mittelteil

274 - Route

Der untere Teil mit den markanten Stellen vom Wanderweg aus

Hier können wir die Arme endlich einmal ein wenig entspannen, es folgen jetzt mehrere leichte Längen in nicht allzu steilem Fels. Allerdings ist in diesem Teil der Route die Orientierung auch am schwierigsten, mehrere Varianten sind möglich und Material steckt gar keines. Wir richten uns nach einer dreiecksförmigen gelben Wand, an deren rechten Seite ein Riss den Weiterweg markiert. Über diesen Riss erreichten wir einen Absatz, über den wir nach links in einen Kessel unterhalb der großen Rinne im oberen Wandteil queren.

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Im Riss hinauf zum Ansatz der großen Rinne des oberen Wandteils

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Blick hinüber zur großen Verschneidung der „Phillip/ Flamm“

Hier gönnen wir uns eine kurze Rast um etwas zu essen, brechen jedoch bald wieder auf, denn der Weg ist noch weit. Plötzlich ist auch wieder die andere Seilschaft vor uns, die wir eigentlich schon viel höher wähnten und die, wie ich später erfuhr (deren guter und anschaulicher Bericht ist unter http://www.rocksports.de/forum/showthread.php?tid=844 einzusehen), einen riesigen Verhauer eingebaut hatten. Auch hier ist der Weiterweg nicht ganz klar, die richtige Variante scheint aber die folgende zu sein: Der Übergang in die große Rinne wird von einer zentralen Rippe vermittelt, die rechts und links von einem Riss begrenzt wird. Den rechten Riss 1 SL hinauf in einen U-förmigen Absatz. Von dort durch eine gelb-rote Verschneidung schräg links hinauf auf die Rippe (1 SL) und über diese weiter nach links in einer SL unter den berühmten Wasserfallkamin.

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Der Weg durch den Kessel hinauf zum Wasserfallkamin

Nun folgte das unangenehmste Wegstück, wobei uns die Dusche glücklicherweise erspart blieb. Durch den Kamin geht es weit ausspreizend bis unter eine dachartige Verengung, deren Überwindung in vollkommen wasserüberronnenem Fels die Hauptschwierigkeit darstellt (A0, frei unter diesen Umständen hart). Dabei flutscht mir der Fuß am glatten Fels weg – man muss hier wirklich unheimlich aufpassen! Wenigstens ist der Standplatz, der sich direkt über dieser schweren Stelle befindet, gut, wobei es sicher angenehmere Plätze als mitten in diesem feuchten Kamin gibt. Auch die nächste SL ist nass und nicht ganz einfach, führt allerdings endlich wieder aus dem Kamin hinaus nach links auf ein mehrere Meter breites Band.

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In der ersten Seillänge des Wasserfallkamins

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In der zweiten Seillänge

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Blick zum Rifugio Tissi und nach Alleghe

Hier verlieren wir leider sehr viel Zeit, da wir uns über den Weiterweg nicht ganz im Klaren sind. Das breite Band wir nämlich von einem überhängenden Wulst begrenzt. Schließlich quälen wir uns durch einen Riss, der sich etwa in der Mitte zwischen dem Wasserfallkamin auf der rechten und einer Verschneidung am anderen Ende des Bandes auf der linken Seite befindet. Leider wäre der korrekte (und vermutlich deutlich leichtere) Weg der durch die linke Verschneidung gewesen… Endlich haben wir den Wulst überwunden, das Gelände wird geneigter und es folgen einige leichtere SL; unsere Geschwindigkeit hat allerdings ob der langen Kletterstrecke bereits etwas gelitten. Insgesamt geht es zunächst schräg links ca. 3 SL bis unter einen Aufschwung, den wir unter weiterem großem Zeitverlust direkt erklettern (kann rechts über ein Band und eine gelbe Wand umgangen werden). Dann in mittelschwerem Gelände nach rechts in die abschließende Gipfelschlucht, die sich doch noch einmal als weitläufiger als vermutet erweist (noch einmal 3 SL). Insgesamt zieht sich dieser obere Wandteil oberhalb des Wasserfallkamins noch einmal endlos. In der ersten SL der Gipfelschlucht werden wir von der Dunkelheit eingeholt und vor uns liegt noch eine letzte anspruchsvolle Länge an einem senkrechten Riss (V+). Kurt sucht längere Zeit nach einem Biwackplatz, was an dieser Stelle jedoch einfach nicht gut möglich ist, da das Gelände vollkommen abschüssig und teilweise schneebedeckt ist. So stehe ich ca. 1 Stunde vollkommen bewegungslos im kalten Abendwind (immerhin sind wir hier auf ca. 3100 m), mit den Füßen auch etwas im Schnee und friere erbärmlich. Endlich entscheidet sich Kurt doch für die Flucht nach vorne und geht den Riss an. Nach einer Ewigkeit kann ich dann nachkommen, wobei ich immer wieder innehalten muss um meinen Fingern wieder Leben einzuhauchen – an dieser Stelle beneide ich Kurt um seine Handschuhe. Am Stand nur schnell das Material übergeben, dann geht es sofort weiter. Schließlich höre ich von oben: „Du kannst mich rausnehmen – Stand!“ – Rausnehmen? Sollte dieses Wörtchen einfach nur dahingesagt sein oder sollte es etwa bedeuten, dass Kurt die Gratkante erreicht hat? Ich wage es kaum zu hoffen, doch als mir plötzlich der Wind ungebändigt ins Gesicht weht und ein verschmitztes „Berg Heil!“ ertönt realisiere ich: Wir haben’s geschafft, wir sind oben! Wir schütteln uns die Hände und machen ein Bild. Ein Blick auf die Uhr – es ist 23.30 Uhr! Na ja, fast um Mitternacht auf dem Civettagipfel zu stehen ist doch auch etwas, das man nicht alle Tage erlebt.

Durchgefroren, müde und k.o. – aber trotzdem überglücklich: Um 23.30 Uhr auf dem Civettagipfel!

Schnell wird alles zusammengerafft und wir steigen zügig zur Torranihütte ab, wobei das Gipfelkreuz wie eine Erscheinung im Schein unserer Stirnlampen vorbeihuscht. In der Hütte wecken wir natürlich die gesamte Belegschaft auf – kein Platz mehr frei. Mir ist’s egal, Hauptsache es ist warm da drinnen. Doch die Italiener rücken in einer sehr fairen Geste zusammen, sodass wir uns auch noch in die engen Betten mit hinein quetschen können. Ich kann so nur seitlich liegen, doch es dauert nicht lange und ich bin schon eingeschlafen…

Erstbegehung: Emil Solleder und Gustav Lettenbauer; 07.08.1925

Ausgangspunkt: Rifugio Tissi (2250 m); dorthin von der Gipfelstation der Seilbahn Col dei Baldi (1922 m) über die Wege 561, 556 und 560; 2 ¾ Std.

Zustieg: Vom Rif. Tissi den Hang hinab bis zur Wegkreuzung mit dem Weg vom Rif. Coldai zum Rif. Vazzoler (Weg 560). Dort geradeaus auf einen Pfad, der unter der gesamten Civettawand bis hinüber zum Coldaisee zieht. In einer Rinne gerade hinauf und etwa 50 m nach links an den Vorbau queren (bei Aufbruch in der Dunkelheit sowohl die Rinne als auch die Stelle an der sie nach links verlassen werden muss gut merken bzw. markieren denn der Vorbau ist im Dunklen nicht zu sehen); ¾ Std.

Einstieg: Über ein breites Band von rechts auf den Vorbau.

Länge: 1000 mH, 1200 m Kletterstrecke/ ca. 33 SL/ mind. 12 Std (und diese auch nur bei sehr zügigem Klettern)

Schwierigkeit: VI+ mit Stellen A0

Absicherung: Sehr viel Eigeninitiative. Eine der alpinsten unter den Klassikern. Haken eigentlich nur in den schwereren Längen ebenso eingerichtete Standplätze (vielleicht insg. 10). Dazwischen muss selbst abgesichert werden. Friends 0,5 – 3,5, die Größen 0,5 – 2 doppelt, Hammer und Haken, viele 60 cm Schlingen, 10 Exen

Abstieg: Bei Übernachtung in der Torranihütte ist diese in ca. 20 min vom Gipfel zu erreichen. Von dort 3 Std. zur Seilbahnstation Col dei Baldi

Weitere Routen: NW-Wand “Aste/ Susatti”, VI+NW-Wand “Andrich/ Faè”, VI+NW-Wand “Phillip/ Flamm”, VI+

Tipp/ Planung: Wer am Vortag die Einstiegsseillängen gut studiert hat kann durchaus noch im Dunklen bis zur ersten schweren Länge oberhalb des Vorbaus aufsteigen (bei unserer Begehung Ende August kam das mit dem Aufbruch um 4.15 Uhr ganz gut hin). Weiterhin empfiehlt es sich, den Zustieg zum Vorbau auszukundschaften (vor allem die Abzweigung vom Pfad und der Punkt, an dem die Rinne verlassen werden muss), außerdem hatte sich das Präparieren des Schneefelds mit Stufen am Vortag bewährt. Dieses war nämlich am nächsten Morgen bretthart gefroren.